Fragwürdige Untersagung eines Vortrags in der VHS
Die Brucker SZ berichtete am 12.11.: Nach negativer Einschätzung des Instituts für NS-Forschung setzt die VHS einen Palästina-Vortrag von Jürgen Schulz ab. Der Ex-Sprecher des Eine-Welt-Zentrums sieht sich in der Meinungsfreiheit beschnitten. Mehrere Stadträte widersprechen ihm … VHS-Geschäftsführerin Silvia Reinschmiedt wollte sich am Montag auf Nachfrage der SZ nicht äußern, auch vom Institut in Nürnberg gab es keine Stellungnahme … Für großen Wirbel sorgte Schulz, als er sich jüngst schriftlich bei den Fürstenfeldbrucker Stadträten über das „Redeverbot“ beschwerte und das in Artikel fünf des Grundgesetzes verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung für sich reklamierte … Schulz bestreitet, Sympathien zu hegen für die transnationale politische Kampagne „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, kurz BDS. Diese will Israel isolieren, um die Räumung der besetzten Gebiete zu erzwingen und palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr in ihre frühere Heimat zu ermöglichen … VHS-Geschäftsführerin Silvia Reinschmiedt wollte sich am Montag auf Nachfrage der SZ nicht äußern, auch vom Institut in Nürnberg gab es keine Stellungnahme. Nach SZ-Informationen spricht man Schulz dort die Qualifikation für einen historisch fundierten Vortrag ab.
Bericht im Brucker Tagblatt vom 14.11.18.
Kommentar: Wer die Vorgänge etwas näher kennt, wundert sich über die radikale Entscheidung der Brucker Stadt- und VHS-Verwaltung sowie über die Kommentare einiger Brucker Stadträte. Die Absage kann durchaus als Verbot bezeichnet werden. Begründet wird sie relativ schwammig. Zum einen will man damit „Schaden“ vom Image der VHS abwenden. Welchen? Lebt Demokratie nicht von kontroversen Diskussionen? Zum anderen beruft man sich auf die negative Stellungnahme eines Nürnberger Instituts, das über jüdische und nationalsozialistische Geschichte forscht. Wer vertritt dort welche Position und warum? Rechtfertigt dessen „Empfehlung“ ein solches Auftrittsverbot? Die geäußerten Animositäten einiger Stadträte gegenüber dem Verfasser des Vortrags lassen wenig Menschenfreundlichkeit erkennen. Der Eindruck entsteht, dass Menschenwürde für manche Volksvertreter nicht die wichtigste Rolle zu spielen scheint. Der Verfasser des Vortrags ist bekannt für ein wirkungsvolles Eintreten im Verein „Eine Welt Zentrum FFB“, in Eine-Welt-Gruppen, im Solidaritätsverein für Guatemala, in der praktischen Flüchtlingshilfe vor Ort sowie im Brucker Arbeitskreis Mahnmal. Letzterer pflegt die Erinnerungskultur zum Todesmarsch aus den KZs und nicht zuletzt zur Judenvernichtung. Über Jahre hat er sich der Recherche des Leidenswegs der verfolgten deutsch-jüdischen Bevölkerung und ihres Exodus gewidmet, ihrer Träume für einen eigenen Staat. Aber auch den politischen Richtungskämpfen innerhalb der Politikerkaste, die sich in Israel um den richtigen Weg stritten und heute noch streiten. Auf der Strecke blieben dabei das Volk der palästinensischen Einheimischen, die teilweise heute noch um ihre nackte Existenz kämpfen müssen. Jürgen Schulz Recherchen lassen keine einseitige Parteinahme zu, er referiert Fakten und stellt Fragen. Dennoch werden sie als nicht öffentlich vertretbar untersagt? Dieses unwürdige Spiel mit der Meinungsfreiheit – das ist es in der Tat! – ist nicht auf Bruck begrenzt, es findet derzeit beinahe weltweit statt. Um angeblich „Antisemitismus“ zu verhindern, werden auch in Deutschland öffentliche Debatten, Auseinandersetzungen und Diskussionen verhindert, Raumvergaben untersagt und Redner diffamiert. Dass diese Strategie von der derzeitigen (unbestritten) rechtsradikalen Regierungsmehrheit in Israel und von solcher in anderen Staaten gefordert und gefördert wird, kann zur Beantwortung der Frage, wem sie am Ende nutzt, beitragen. Doch dafür muss man bereit sein, hinter die Kulissen zu blicken, anstatt Mitbürger ehrenrührig und empathielos zum Schweigen zu verdonnern. Koscher ist das nicht! – Zur Kenntnisnahme der Hintergründe um die aktuellen „Antisemitismus“-Kampagnen empfehlen wir folgende Lektüren: https://bibjetzt.wordpress.com/2018/11/05/bib-aktuell-39-veranstaltungen-unter-beschuss und http://www.humanistische-union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles-detail/article/keine-zensur-in-staedtischen-raeumen
Als Betroffener in der Sache habe ich viel gelernt z.B.:
– wie sich die Geschäftsführung der lokalen VHS von falschen Behauptungen beeinflussen lässt und positive Referenzen unberücksichtigt bleiben,
– wie einige Mandatsträger*innen im Stadtrat meine Integrität in Frage stellen,
– wie der Artikel der SZ vom 12.11.18 zum Thema durch Zitate und Kommentar bewusst eine negatives Meinungsbild zu meiner Person in der Öffentlichkeit entstehen lässt. Reinhard May hat dazu ein Lied geschrieben: Was in der Zeitung steht … (https://www.reinhard-mey.de/start/texte/alben/was-der-zeitung-steht
Ich habe die Zurückhaltung von Menschen erlebt, von denen ich Zuspruch erwartet hätte und von anderen erfahre ich dankbar ihre Solidarität.
Jürgen Schulz
Glücklicherweise konnte ich diesen jetzt umstrittenen Vortrag von Jürgen Schulz am 26.9. im Rahmen der Zeitgespräche hören. Ich war gebannt von seinem anschaulichen Bericht über die Spuren jüdischen Lebens von 1945-48, direkt hier aus unserm Brucker Umfeld. Gar nicht bekannt war mir, wie sich 25 000 überlebende Juden der KZs und aus Osteuropa – hier in Lagern für heimatlose Ausländer (displaced persons) wie St.Ottilien, Landsberg, Wolfratshausen – organisiert haben. Hier in Bruck, die ehemalige Conditorei Michael Hartl in der Hauptstraße, wurde zum Haus der jüdischen Gemeinschaft. Hier tagte auch das jüdische Kulturkomitee. Es gab Benefizkonzerte. Die ersten Kibbuzim wurden gegründet, in Vorbereitung für die Einwanderung in das damalige britische Mandantsgebiet Palästina. Wer weiß denn davon hier in Bruck?
Beeindruckend für mich in diesem Vortrag, wie Jürgen Schulz den Leidensweg der verfolgten deutsch-jüdischen Bevölkerung und ihre Hoffnung auf eine neue Heimat in Erez-Israel und die dramatischen Umstände des Exodus schildert. Wichtig auch die Zusammenstellung der Fakten, angefangen von der Balfourt-Erklärung 1917 bis zum verabschiedeten Teilungsplan Palästinas 1947 der Vereinten Nationen, um die heutigen Konflikte zu verstehen. Dieser hervorragende Vortrag „Vom Ammersee nach Palästina“ ist eine Chance, unsere eigene verdrängte und unverarbeitete Geschichte sowie unserer Verflechtung mit dem jüdischen Volk endlich zu verarbeiten. Die tragische Verflechtung mit dem entrechteten Volk der Palästinenser und ihren Kampf um die nackte Existenz muss uns Deutsche gleichwohl bewegen und zum Handeln bewegen. Das alles sollte Bildungsauftrag sein – ohne wenn und aber.