Mit Geldspritzen Migration verhindern?

Das Brucker Tagblatt berichtete am 11.1.18 über Reaktionen auf Landrat Thomas Karmasins Vorschlag, einen Teil des „Soli“ (Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer) in die Entwicklungshilfemaßnahmen für Afrika zu stecken: »Man müsse den Menschen in Afrika zu besseren Lebensbedingungen zuhause verhelfen – sonst würden immer mehr Migranten zu uns kommen, „was die schlechtere Variante wäre“«, so wird er zitiert. »Zum Ausdruck habe er bringen wollen, dass die reichen Gesellschaften Europas einen Beitrag dazu leisten müssten, in Afrika die Lebensbedingungen zu verbessern …«
Kommentar: Karmasin hat damit gesagt, dass es ihm um Zuwanderungsbegrenzung geht. Nicht, wie und mit wem das Abschottungs-Geld verteilt werden soll und schon gar nicht, welche Sinnhaftigkeit darin steckt. Für manch einen mag das ja gut klingen, für andere gar nicht, wie die Leserkommentare zeigen – vor allem die dümmlichen und rassistischen. Ohne Geld geht nichts, wie jeder weiß. Doch die afrikanische Realität bedarf gründlicher Analyse, will man statt Flüchtlingsbekämpfung echte Hilfe leisten, um die Fluchtursachen zu dämpfen. Gute Hilfe bieten lokale Maßnahmen, die oft von kleinen und großen Initiativen Europas ausgehen, doch zumeist nur Tropfen auf den heißen Stein bleiben. Es bedarf großer Strukturmaßnahmen, einer finanzpolitischen Alternativpolitik und wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Darüber hat die Brucker Sozialwissenschaftlerin und Caritas-Asylberaterin J.-M. Sindani in ihrem Buch „Gestrandet im Paradies“ publiziert (Buchvorstellung). Beispielhaft engagiert sich die Genossenschaft „Oikokredit“: Derzeit hat die Genossenschaft 72,5 Mio. Euro auf dem afrikanischen Kontinent investiert – Tendenz steigend. Zu wissen und verstehen gibt es eine Menge auch auf den Webseiten von „Südwind“, „Zebralogs“ und „Venro“. Alle Quellen stehen uns Bürgern sowie jedem Landrat offen.
Kurze Zusammenfassung aus einem Bericht des „Südwind-Instituts“, Bonn: »In den meisten Ländern besteht eine hohe Unterbeschäftigung und Jugendarbeitslosigkeit. 84 % der arbeitenden Bevölkerung in Afrika sind im informellen Sektor aktiv, d. h. beispielsweise als Straßenhändler, Tagelöhner und Kleinbauern. Es mangelt an formalen Arbeitsverhältnissen, die ein sicheres Einkommen ermöglichen würden … Die Wirtschaftsstruktur der afrikanischen Staaten ist überwiegend durch landwirtschaftliche Kleinbetriebe und den Rohstoffsektor bestimmt. Der industrielle Sektor ist unterentwickelt … Dementsprechend gibt es auch kaum Wirtschaftsakteure, die besteuert werden könnten. Ein Problem, dass durch die Steuerflucht im Rohstoffsektor noch verstärkt wird (hier). Derzeit finanzieren sich viele afrikanische Staaten noch immer durch externe Quellen. Sei es durch bi- und multilaterale Entwicklungshilfe oder durch eine Auslandsverschuldung am Kapitalmarkt. Die aufgenommenen Schulden werden häufig nicht in die Diversifizierung der Wirtschaft investiert. Bei Weltmarktschocks wie dem Verfall von Rohstoffpreisen drohen die Schulden nicht tragfähig zu werden. Es kommt wiederholt zu Schuldenkrisen … In der Handelspolitik besteht Deutschland auf dem Abschluss von Freihandelsabkommen mit den afrikanischen Staaten (Wirtschaftspartnerschaftsabkommen – EPAs). Afrikanische Staaten sollen ihre Märkte öffnen, erlangen aber kaum Vorteile, da sie theoretisch meist schon freien Zugang zum EU Markt haben (hier). Durch die Marktöffnung drohen afrikanische Unternehmen und Kleinbauern durch Importe noch weiter marginalisiert zu werden. Denn afrikanische Staaten sind Studien zufolge nur bei 15-35 % aller Produkte wettbewerbsfähig genug, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können … Statt der Freihandelspolitik sollte Europa die regionale Integration Afrikas, also den Aufbau regionaler Märkte, unterstützen. Daneben könnten Beratungsleistungen – wie das vom DIE vorgeschlagene „Zukunftsprogramm afrikanischer Strukturwandel“ – angeboten werden, damit afrikanische Industrien von handelspolitischen Schutzmaßnahmen profitieren, anstatt dass diese auf politisch gut vernetzte „Unternehmer“ zugeschnitten werden … nachhaltiger wäre es, den illegalen Abfluss von Finanzmitteln und die Ausbeutung afrikanischer Reichtümer zu beenden. So verlieren die afrikanischen Staaten jährlich eine geschätzte Summe zwischen 30 und 100 Milliarden Euro an potenziellen Staatseinnahmen infolge von Steuerflucht zumeist multinationaler Konzerne. Hinzu kommen Abflüsse durch die Ausbeutung afrikanischer Fischbestände oder für den Schuldendienst infolge verantwortungsloser Kredite, die mitunter von korrupten Staatschefs aufgenommen wurden … Die deutsche Entwicklungspolitik muss sich endlich vom neoliberalen Dogma freier Märkte und des schlanken Staates lösen. Die Entwicklungserfolge der asiatischen Tigerstaaten und später Chinas zeigen die Bedeutung eines starken Staates, denn sie beruhten nicht auf freien Marktkräften …«